Im «Clockdown» zu sorgloseren Zeiten

Carl Bossard, Reichsschultheiss des Unüberwindlichen Grossen Rates zu Stans, blickt mit Zuversicht ins neue Jahr.

Bericht aus der Nidwaldner Zeitung vom 29.12.2020

Märchen und klassische Literatur machen es deutlich: Was es nicht gibt, gibt es gleichwohl – die schöne Fee und den Erlkönig, den Kobold und den sagenhaften Goldschatz. Sie sind uralte Chiffren für Dinge, mit denen der menschliche Geist die reale Welt zu deuten versucht. Schon in den steinzeitlichen Höhlen.

Wer sich auf solches einlassen kann, entdeckt eine weitere Welt. Mythen und Träume vermitteln dem Irdischen und Diesseitigen das Andere und Komplementäre, manchmal gar das Kontrastive. Aus solchen Ideen und Fantasien ist der «Unüberwindliche Grosse Rat» entstanden: Aufbrechen und Ausbrechen aus der Enge. Zeitgemässer könnte der UGR – trotz seines würdigen Alters – nicht sein! Das Konträre zum aktuellen Imperativ «Bleibt zu Hause!»

«Hinaus, hinaus ins Offene!», entschlüpft es dem Philosophen Friedrich Nietzsche, als er im Hafen von Genua in die Weite des Mittelmeeres blickt und den endlosen Horizont absucht. Es muss nicht Genua sein. Das Rotzloch genügt.

Im Rotzloch von der weiten Welt träumen

Wer im UGR-eigenen Meerhafen steht und in die Ferne schaut, träumt vielleicht bis zum Finis terrae, bis ans Ende der Welt. So weit reicht das unermessliche Reich, auch wenn’s halt nur das End’ der Welt im Horbistal hinter Engelberg ist. In Gedanken das Weite suchen: Das machten die fantasievollen Flaneure von einst. Als geistige Globetrotter schlenderten sie um die Welt. Das half – auch seelisch. Und es tut noch heute gut. In diesen Tagen ganz besonders.

Jahrzehnte und Jahrhunderte sind seit Entstehen des UGR vergangen. Die Zeiten haben sich gründlich geändert, geblieben aber ist die menschliche Sehnsucht nach einem zeitweiligen «Moratorium des Alltags», nach einem Ausstieg aus den irdischen Sorgen und Nöten. Das erleben wir in diesen verrückten Tagen hautnah. Der UGR macht dieses Moratorium möglich. Darum haben wir für das ganze Reich einen Clockdown ausgerufen – in einer Gegenwart, die kaum planbar und deren Zukunft noch weniger prognostizierbar ist. Die chronologisch-lineare Zeit halten wir einfach an – und zwar auf unbestimmte Zeit. Genau wie die Sonnenuhr am Gerschnitor des Klosters Engelberg den Zeitenlauf aussetzt, wenn dunkle Wolken am Horizont dräuen. Wir reagieren mit Fantasie und Humor, dem wirksamsten UGR-Instrumentarium.

Erst in einer besseren Zukunft kehren wir wieder zurück zur Gegenwart und beenden den Clockdown – befreit von der Last des Ungewissen. Wir halten’s dabei wie der brave Soldat Schwejk im Ersten Weltkrieg. Als er im August 1914 mobilisiert und ins Militär einberufen wurde, meinte er zuversichtlich: «Nach dem Krieg um halb sechs in der Kneipe Zum Kelch!»«Lebt der Mensch von innen heraus oder von aussen herein?» Die Frage, die der Philosoph mit einem ebenso irritierenden wie klaren «Ja!» beantwortete, führt zum Wesen des «Unüberwindlichen Grossen Rats». Dem UGR steht der Blick in ein Fantasiereich offen: der Weg ins Innere. Und gleichzeitig ist er auch Quelle beflügelnder Inspiration – der Weg aus dem Innern ins Äussere.

Als witziger Gegenentwurf zum konkreten Alltag hat der UGR die Reformation und die Revolution überstanden, er hat Krisen ausgestanden und Krankheiten standgehalten – dank der Fantasie der Reichsfrauen und Reichsritter. Schöpfen wir aus der fein gesponnenen Dualität dieser beiden Welten Energie und bleiben wir in der bedrängenden Gegenwart gesund und zuversichtlich!

Carl Bossard*

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